Kann sich SARS-CoV-2 von Hirschen auf Weidetiere ausbreiten?

Diese Frage wird durch die Tatsache aufgeworfen, dass sich das Virus in den USA sehr schnell in einer großen Anzahl von Weißwedelhirschen ausgebreitet hat. Mittlerweile ist deutlich geworden, dass diese Tiere das Potenzial haben, als bedeutendes Reservoir für SARS-CoV-2 zu fungieren. Das Virus könnte in den Hirschen zirkulieren, sich durch Mutationen weiterentwickeln und dabei gefährlicher oder auch übertragbarer werden. Auch für andere Tierarten, inclusive uns Menschen. Viele verschiedene Tierarten können sich mit dem Virus infizieren. Auch sogenannte "Nutztiere"?

Sind "gewöhnliche Nutztiere" anfällig für SARS-CoV-2?

Um herauszufinden, ob eine Übertragung des SARS-2 Virus von Weißwedelhirschen auf Weidetiere wie Rinder tatsächlich denkbar wäre, sehen wir uns erst einmal eine aktuelle, Anfang November 2021 veröffentlichte Studie an. Für die neue Studie wurden verschiedene sogenannte "Nutztiere" mit SARS-CoV-2 (Virusstamm 2019-nCoV/USA-WA1/2020) infiziert: 3 Rinder, 3 Ziegen, 4 Schafe, 4 Kaninchen, 1 Pferd, 2 Alpacas. Die Ergebnisse zeigten, dass Rinder bzw. Kälber, Ziegen und Kaninchen eine geringe Anfälligkeit für das Virus haben: Bei einem Kalb, zwei Ziegen und einem Kaninchen fielen nachfolgende PCR-Tests positiv aus. Aus der Luftröhre eines Kalbes konnte zudem das lebende Virus isoliert werden. Krankheitszeichen zeigten die Tiere nicht und auf den genommenen Abstrichen wurde kein infektiöses Virus nachgewiesen. Die Ergebnisse stimmten mit früheren Studien überein, die geringe Virusvermehrungen bei Schweinen, Rindern und Kaninchen zeigten.

Diese Studien wurden alle mit älteren Virusstämmen durchgeführt, nicht mit den inzwischen bekannten Varianten. Wir wissen daher nicht, ob sich beispielsweise die weltweit dominierende und für Menschen ansteckendere Deltavarinante oder die in Weißwedelhirschen oder in Nerzen dominierenden Varianten möglicherweise anders auf die hier getesteten Tierarten auswirken.

Das Forschungsteam geht davon aus, dass bei "Nutztieren" nur ein geringes Risiko für die Übertragung des Virus zwischen Mensch und Tier besteht, auch weil bisher keine natürlichen Infektionen dieser Tierarten bekannt wurden. Es sei jedoch über die Rolle von Tieren (wild oder domestiziert) bei der COVID-19-Pandemie noch viel zu lernen, einschließlich der Auswirkungen des Auftretens neuer Varianten auf nichtmenschliche Arten.[1] [2]

Da die infizierten Tiere in der Studie keine Krankheitszeichen zeigten, empfinden wir das Argument, dass bisher keine natürlichen Infektionen bei "Nutztieren" nachgewiesen wurden, als wenig aussagekräftig. Wer testet gesund erscheinende Nutztiere im Alltag auf COVID-19? Insbesondere bei solch einer großen Anzahl an Tieren, wie sie weltweit für den Konsum gehalten werden, ist eine flächendeckende vorsorgliche Kontrolle schlicht unmöglich. Beruhigend ist, dass die für die Studie infizierten Tiere offenbar kein infektiöses Virus ausschieden.

Doppelinfektionen bei Rindern - eine Gefahr für Tier und Mensch?

Ein Forschungsteam des Friedrich-Loeffler-Instituts, das bereits 2020 eine Studie durchführte, ging detaillierter auf das Risiko einer möglichen (zukünftigen) Beteiligung von Rindern am Ausbruchsgeschehen ein.

Für die Studie wurden sechs Milchkälber mit SARS-CoV-2 (Virusstamm 2019_nCoV Muc-IMB-1) infiziert und daraufhin mit drei weiteren zusammen gehalten. Zwei der infizierten Tiere wurden in den folgenden Tagen positiv getestet, das Virus konnte sich also in ihnen vermehren. Die Kontakttiere infizierten sich nicht. Dies bestätigt: Rinder können sich mit dem Virus infizieren, eine Weitergabe des Virus unter den Rindern wurde nicht nachgewiesen. Bisher gibt es auch keine Anzeichen dafür, dass Rinder eine Rolle in der COVID-19-Pandemie unter Menschen spielen.

Dennoch warnt das Forschungsteam: In Regionen mit großen Rinderpopulationen und einer hohen Verbreitung von SARS-CoV-2 unter Menschen, könnte ein enger Kontakt zwischen “Nutztieren” und infizierten Menschen zu anthropozoonotischen Infektionen bei Rindern führen. So, wie es bereits bei hochanfälligen Tierarten wie Nerzen, Katzenartigen und Hunden beobachtet wurde.

In der Studie wird empfohlen, dass bei der Bewertung des Risikos für die Zirkulation von SARS-CoV-2 unter Rinderpopulationen das Alter, die Haltungspraktiken und die Gesundheitszustände der Tiere berücksichtigt werden sollten. Ausbruchsuntersuchungen sollten auch Rinder umfassen, vor allem wenn direkter Kontakt zwischen Tieren und infizierten Personen bestand.

Die Forschenden weisen in diesem Zusammenhang auf die weite Verbreitung des Rinder-Coronavirus hin, das, genau wie SARS-CoV-2, zu den Betacoronaviren gehört: Eine vorangegangene, natürliche Infektion mit dem Rinder-Coronavirus (BCoV) hatte die Tiere in dieser Studie nicht vor der Ansteckung mit SARS-CoV-2 geschützt. Eine Doppelinfektion einzelner Tiere mit diesen beiden Coroanviren, könnte zu Rekombinationsereignissen zwischen SARS-CoV-2 und BCoV führen. Dieses Phänomen wurde bereits bei anderen pandemischen Coronaviren beschrieben[3]. Ein so entstehendes Virus, das Eigenschaften beider Viren umfasst, könnte Tierbestände und Menschen bedrohen. [4]

“Demnach besteht also kein unmittelbarer Grund zur Sorge, aber wir müssen die Entwicklung im Auge behalten.” Prof. Martin Beer, Leiter des Instituts für Virusdiagnostik des FLI [5]

Uns stellen sich die Fragen: Ist es auch nur annähernd möglich, eine solche Entwicklung von Viren in Rindern (oder anderen “Nutztieren”) rechtzeitig zu erkennen? Was muss geschehen, bevor die Möglichkeit einer Ernährungswende, hin zu einer pflanzenbasierten Ernährung, in der Öffentlichkeit ernsthaft in Betracht gezogen wird?

Was haben die Haltungsbedingungen unter denen Tiere leben mit Ausbrüchen von Infektionskrankheiten zu tun?

Wie kann die Welternährung in Zukunft aussehen?

Können wir durch eine andere Art der Ernährung Pandemien verhindern?

Quellen:


  1. A study of livestock exposure to the SARS-CoV-2 virus. Sreetama Dutt M.Sc.; 14.11.2021 (News Medical) ↩︎

  2. Susceptibility of livestock to SARS-CoV-2 infection. Angela M. Bosco-Lauth, Audrey Walker, Lauren Guilbert et al.; 09.11.2021 (Taylor & Francis Online) ↩︎

  3. Molecular Evolution of Human Coronavirus Genomes. Diego Forni, Rachele Cagliani, Mario Clerici, Manuela Sironi; 01.2017 (PMC) ↩︎

  4. Experimental Infection of Cattle with SARS-CoV-2. Lorenz Ulrich, Kerstin Wernike, Donata Hoffmann et al.; 12.2020 (CDC)
    ↩︎

  5. SARS-CoV-2: Friedrich-Loeffler-Institut testet Empfänglichkeit von Rindern, 26.08.2020 (Pressemitteilung FLI) ↩︎