Wie können wir ohne die Nutzung von Tieren Impfstoffe herstellen?
Pflanzenbasierte Substanzen - eine sinnvolle Alternative für Immunisierung und Diagnostik?
Proteine spielen nicht nur in unserer Ernährung eine wichtige Rolle, sondern auch im medizinischen Bereich, zum Beispiel bei der Herstellung von Impfstoffen und Medikamenten sowie in der Diagnostik. Enzyme, Antikörper und Teile von Viren und Bakterien bestehen aus Proteinen. Pflanzen sind die Hauptproduzenten der auf der Erde vorkommenden Proteine. Sie können Stickstoffverbindungen aus dem Boden aufnehmen und daraus Aminosäuren herstellen - die Bausteine der Proteine. Leguminosen sind sogar in der Lage, in Zusammenarbeit mit Bodenbakterien elementaren Stickstoff aus der Luft aufzunehmen und in Aminosäuren umzuwandeln. Der weitaus größte Teil des Proteins in Tieren stammt aus dem Abbau pflanzlicher Proteine zu Aminosäuren und ihrer anschließenden Neukombination zu den von den Tieren benötigten Proteinen.
Im Vergleich zur bisher üblichen, langwierigen Entwicklung stabiler Zellkulturen im Labor, haben Pflanzen eine kurze Wachstumsphase. Sie müssen nicht in speziellen Laboren gezüchtet werden. Hier haben sich besonders Tabak und Alfalfa durch hohe Biomasseproduktion in kurzer Zeit bewährt.
Seit 2016 ist die Anzahl der angemeldeten Patente im Bereich der pflanzenbasierten Medikamente und Impfstoffe um circa 30% gewachsen. Die Coronapandemie hat das Interesse an den damit zusammenhängenden Technologien noch befeuert.
Die Hauptvoraussetzung ist ein freies Stück Land. Eine italienische Forschungsgruppe berechnete, dass mit 9400 kg pflanzlicher Biomasse, die auf 1,25 Hektar gewonnen werden kann, die gesamte Bevölkerung Italiens gegen SARS-CoV-2 hätte geimpft werden können. Und das bei 10 % der Kosten, die für traditionelle Herstellungsmethoden hätten aufgewendet werden müssen.[1]
Welche Vorteile bieten pflanzenbasierte Substanzen?
Pflanzlich basierte Substanzen haben gegenüber denen, die in tierischen oder bakteriellen Zellkulturen hergestellt werden, eine Reihe von Vorteilen:
- Sie sind deutlich preisgünstiger und mit weniger Aufwand herzustellen.
- Sie sind länger und oft bei Raumtemperatur haltbar und damit leichter lagerbar.
- Sie können nicht unbeabsichtigt tierbasierte Erreger enthalten oder in die Umgebung entlassen, die auf Menschen übertragbar wären.
- Pflanzlich basierte Impfstoffe können teilweise oral verabreicht werden, in diesen Fällen reduziert sich der Bedarf an Spritzen und der damit verbundene speziell zu entsorgende Müll.
- Menschen mit Spritzenphobien können deutlich leichter behandelt werden.
- Solange eine Anbaufläche vorhanden ist, kann die Produktion pflanzlich basierter Substanzen leicht in der Menge hochskaliert werden.
- Pflanzlich basierte Impfstoffe brauchen von der Aufklärung des Erbgutes eines Erregers bis zur Produktion marktreifer Mengen wenig Zeit und sind nicht auf die Verfügbarkeit von Hühnerembryonen zur Produktionssteigerung angewiesen. Damit sind sie gerade in Pandemien für eine schnelle Reaktion auf neue Varianten besser geeignet.[2]
Hier ergänzen sich also wirtschaftliche Vorteile mit der Idee, Medikamente nicht auf der Basis der Tiernutzung herzustellen. Allerdings sind immer noch Tierversuche an Mäusen vorgeschrieben, um zu belegen, dass die Antigene aus den Tabakpflanzen die richtige Immunantwort hervorrufen. Und natürlich sind günstigere Medikamente nicht so lukrativ und daher für Forschung und Entwicklung durch Firmen in reicheren Ländern weniger interessant.
Auch gegen SARS-CoV-2 sind noch immer viele Menschen in ärmeren Ländern zu einem Großteil nicht geimpft. Statt darauf zu warten, dass die Patente für die modernen Impfstoffe freigegeben werden, könnten mit Hilfe von Tabakpflanzen hergestellte Impfstoffe diese für die gesamte Menschheit gefährliche Lücke schließen.
Pflanzlich basierte Impfstoffe
Die Idee, Pflanzen zur Herstellung von Impfstoffen zu nutzen, ist nicht neu. Seit fast 30 Jahren ist das Konzept des sogenannten „molecular farmings“ bekannt, bei dem gezielt DNA oder RNA in Pflanzen eingebracht wird, um verschiedene Substanzen zu gewinnen, unter anderem auch Arzneimittel.
Ein Teil der auf diese Art produzierten viralen Antigene sind sogenannte Virusartige Partikel. Diese Wirkstoffe enthalten die Proteinhüllen oder große Teile davon, allerdings ohne das Erbgut im Inneren dieser Kapseln. So kann das Immunsystem auf die äußere Struktur reagieren und einen umfassenden Immunschutz aufbauen. Aktuell taucht diese Impfstoff-Kategorie in den meisten neuen Patenten und bei den Firmen mit der größten Erfahrung auf.
Die Kommerzialisierung von pflanzenbasierten Impfstoffen erfordert viel Mühe und Zeit. Verschiedene Impfstoff-Kandidaten befinden sich in klinischen Studien, sowohl für die Verwendung bei Menschen, als auch bei Tieren. 2006 wurde der erste pflanzenbasierte Impfstoff von der Landwirtschaftsbehörde USDA für die Immunisierung von Geflügel gegen das hochansteckende Newcastle-Virus (NDV) zugelassen. Der Impfstoff bot nach zwei Impfungen einen 90-prozentigen Schutz gegen eine Infektion mit dem Virus.[3] Dennoch wurde daraus nie ein kommerziell erhältliches Produkt. Die Zulassung zeigte jedoch, dass pflanzenbasierte Impfstoffe innerhalb des bestehenden regulatorischen Rahmens entwickelt werden können.[4]
Warum der Impfstoff gegen die Newcastle-Krankheit nicht kommerziell zur Anwendung kam, ist uns nicht bekannt. Solche Impfstoffe die in Tierhaltungsbetrieben eingesetzt werden sollen, werden in der Regel entwickelt, um die Tierhalter vor finanziellen Verlusten durch Tierseuchen zu schützen. Möglicherweise war der finanzielle Vorteil nicht gegeben oder/und die Anwendung zu aufwändig. Der Impfstoff sollte den frisch geschlüpften Küken zweimal im Abstand von zwei Wochen gespritzt werden.[5]
Wie weit ist die Entwicklung pflanzenbasierter Impfstoffe für die Pandemie-Bekämpfung?
Sehr vielversprechend ist der mögliche Einsatz pflanzenbasierter Impfstoffe zur Eindämmung von Epidemien und Pandemien.
Der erste pflanzenbasierte COVID-19-Impfstoff
Am 12. März 2020 gab die kanadische Firma Medicago bekannt, einen brauchbaren COVID-19-Impfstoff-Kandidaten hergestellt zu haben[6] - innerhalb von 20 Tagen, nachdem sie die Gensequenz von SARS-CoV-2 erhalten hatten.[7] Im Dezember 2021 hatte dieser pflanzenbasierte COVID-19-Impfstoff eine Testphase mit 24.000 Freiwilligen durchlaufen, allerdings war zu der Zeit die Omikron-Variante noch nicht vorherrschend. Gegen die vorherigen Varianten ist dieser Impfstoff nach zwei Dosen immerhin zu 71% wirksam. Die Wirksamkeit gegen Omikron muss sich noch herausstellen. Wenn nötig, kann der Impfstoff laut Hersteller angepasst werden.
Ende Februar 2022 wurde der Impfstoff in Kanada unter dem Namen Medicago Covifenz® für Erwachsene zwischen 18 und 64 zugelassen. (Die Verfügbarkeit von Testpersonen über 65 Jahren war aufgrund der hohen Impfquote in dieser Altersgruppe zu gering gewesen. Daten für die Zulassung in dieser Altergruppe werden noch gesammelt.)[8] [9] Die gemeldeten Nebenwirkungen sind im Allgemeinen leicht und vorübergehend.[10] [11] Bereits im Oktober 2021 unterzeichnete Kanada einen Vertrag über den Kauf von 20 Millionen Impfdosen. Eine Option auf weitere 56 Millionen Dosen besteht. Ein Teil der erwarteten Lieferungen sind für die Weitergabe an andere Länder gedacht.[12] Die Entwicklung dieses Impfstoffes könnte ein wichtiger Schritt zur besseren Versorgung ärmerer Länder sein. Medicago geht davon aus, zunächst 80 Millionen Dosen und nach Fertigstellung einer großen Fabrik im Jahr 2023 über 1 Milliarde Dosen jährlich produzieren zu können.[13] [14]
An Zulassungen in weiteren Ländern wird gearbeitet. Der Notfallzulassung durch die WHO steht jedoch offenbar die Beteiligung des Zigarettenherstellers „Philip Morris International“ an der Firma Medicago im Wege. Die WHO hat sehr strenge Regeln, was Partnerschaften mit Unternehmen aus Tabak- und Rüstungsindustrie betrifft. Wenn es hier keine Lösung gibt, wäre Covifenz der erste im Westen entwickelte COVID-19-Impfstoff, der von der WHO abgelehnt wird. Damit wäre der Impfstoff auch von der Initiative „COVID-19 Vaccines Global Access“ (COVAX) ausgeschlossen. Diese Initiative soll Entwicklungsländer bei der Bekämpfung von COVID-19 unterstützen, indem sie bei der Versorgung mit Impfstoffen und anderen Hilfsgütern hilft.[15] Obwohl eine Ablehnung der WHO in dem Fall nichts mit der Sicherheit und Effizienz des Impfstoffs zu tun hätte, würde sie also nicht nur die internationale Nachfrage nach dem Impfstoff senken - sie würde auch Entwicklungsländern den Zugang zum Impfstoff mindestens erschweren, wenn nicht verwehren. Ob ein Ausstieg des Zigarettenherstellers aus der Firma das Problem lösen könnte, ist uns nicht bekannt.
Weitere pflanzenbasierte Impfstoff-Kandidaten
Weitere Kandidaten für pflanzenbasierte COVID-19-Impfstoffe befinden sich (Stand September 2021) in den USA, Südkorea, Thailand und der Türkei in verschiedenen Testphasen. Darüber hinaus befinden sich pflanzenbasierte Impfstoffe gegen verschiedene Influenzaviren, Malaria, Cholera, Hepatitis B, Tollwut, Gastroenteritis und Milzbrand in klinischen Studien. Weitere pflanzenbasierte Impfstoffe gegen Epidemien befinden sich in präklinischen Studien. Darunter sind Impfstoffe gegen die Pest, HIV, Dengue-Fieber und Gelbfieber. Viele dieser Impfstoffe werden in Tabakpflanzen hergestellt, andere in Reis, Kartoffeln, Salat, Spinat oder Tomaten.[16]
Pandemie-Prävention durch die Impfung von Tieren?
Neben der Impfung von Menschen, wird zur Prävention neuer Epidemien und Pandemien auch an pflanzenbasierten Impfstoffen gegen verschiedene Zoonosen gearbeitet, die sogenannten “Nutztieren”, Haustieren oder auch Wildtieren verabreicht werden sollen. Das Einfangen einer großen Anzahl an Wildtieren für die Impfung ist kaum möglich. Eine Lösung könnte die orale Immunisierung mit Hilfe von ausgelegten Ködern sein, die den Impfstoff enthalten. Um beispielsweise die Tollwut beim Menschen effektiv zu kontrollieren gibt es den Ansatz, die von Tollwut betroffenen Wildtierarten und Haustiere zu impfen.[17]
Anfang 2019 wurde bekanntgegeben, dass an der Entwicklung pflanzlich basierter und damit auch preiswerter Impfstoffe gegen Vogelgrippe gearbeitet wird. Vogelgrippeviren verbreiten sich sehr schnell unter den Tieren und die hochpathogenen Varianten sind sehr gefährlich. Die Vogelgrippe gehört zu den Zoonosen, kann also auf Menschen springen und hat auch schon Pandemien ausgelöst. Daher ist es dringend notwendig, Infektionen von Menschen zu verhindern. Die Forschung an diesen Impfstoffen ist dadurch motiviert, dass bisher als einzige effektive Maßnahme zur Eindämmung eines Vogelgrippe-Ausbruchs nur die Keulung ganzer Vogelbestände zur Verfügung steht. Besonders in ärmeren Ländern ist dieser Schritt regelmäßig existenzbedrohend für die betroffenen Betriebe. Im erwähnten Forschungsprojekt wurden Tabakpflanzen genutzt, um Proteinuntereinheiten des Vogelgrippevirus als Antigene zu erzeugen.[18]
Die Impfung von Geflügelbeständen als Lösung für Probleme und Risiken wie die Ausbreitung von Vogelgrippeviren sehen wir dennoch kritisch. Impfstoffe müssen zunächst hergestellt und immer wieder an neue Varianten angepasst werden. Bis dahin vergeht wertvolle Zeit. Zudem ist die Vogelgrippe nicht die einzige zoonotische Erkrankung, die Geflügelbestände heimsuchen kann und es können immer neue und eventuell resistente Erreger auftauchen. Auch wenn die Entwicklung pflanzlich basierter Impfstoffe weniger Zeit erfordert, bleiben Risiken, da erst auf die Gefahren durch angepasste oder neue Erreger reagiert werden kann, wenn sie bekannt sind. Hinzu kommt, dass Impfstoffe nicht zu 100 % wirksam sind.
Die Abschaffung der Geflügelhaltung und die Umstellung der Ernährung auf pflanzliche Alternativen kann das Risiko für weitere Zoonosen aus dieser Quelle dagegen komplett beseitigen. Hinzu kommt: bei fast allen Fällen in denen Menschen nach dem Kontakt mit Vögeln an Vogelgrippe erkrankten, handelte es sich um domestiziertes Geflügel. Nur ein Ausbruch ist uns bekannt, der auf den Kontakt mit Wildvögeln zurückgeführt wird. Dies alles zeigt, wie groß das Potenzial ist, weitere Vogelgrippe-Pandemien und auch einzelne Todesfälle zu verhindern.
Pflanzlich basierte Antikörper
1989 stellte die Forschungsgruppe um Andrew Hiatt am Scripps Research Institute gezielt Antikörper gegen ein spezifisches Antigen her, indem sie die nötige DNA in das Erbgut von Tabakpflanzen einschleusten. Die Antikörper wurden normalerweise in Mäusen produziert. In diesem Experiment machten die Antikörper nach der Ernte 1,3% des Proteins in den Tabakblättern aus und konnten sich gut an das Antigen binden. Die Ergebnisse zeigten somit, dass funktionelle Antikörper sehr effizient in Tabakpflanzen produziert werden können.[19]
2014 wurde, auf dem Höhepunkt der Ebola-Epidemie in Westafrika, ein Antikörper-Medikament (ZMapp) aus damals verfügbaren Antikörpern zusammengestellt und in Tabakpflanzen produziert. ZMapp hat sehr wahrscheinlich einigen Infizierten das Leben gerettet, möglicherweise die Sterberate fast um die Hälfte gesenkt. Die Teilnehmerzahl war jedoch zu gering um die Wirksamkeit eindeutig belegen zu können, weil zu der Zeit die Ebola-Epidemie sich ihrem Ende näherte.[20] Während des Ebola-Ausbruchs 2018/19 in der Demokratischen Republik Kongo, kam ZMapp erneut ins Spiel. Allerdings war es im Vergleich vier anderen Medikamenten unterlegen. Im August 2019 fiel die Entscheidung für diese vier Medikamente und die Nutzung von ZMapp und allen weiteren Ebola-Medikamenten wurde eingestellt.[21]
Die SARS-CoV-2-Pandemie zeigt wie wichtig es ist, schnell monoklonale Antikörper-Medikamente herstellen zu können. Mit Hilfe einer auf Tabakpflanzen basierenden Produktionsplattform gelang es, 19 verschiedene monoklonale Antikörper herzustellen. Von der Behandlung der Pflanzen mit dem Vektor-Bakterium bis zum Endprodukt vergehen etwa 10 Tage. Entsprechend schnell könnten Medikamente bei Ausbruch neuer Infektionskrankheiten produziert werden, wenn sie erst die Testphase erfolgreich durchlaufen haben. Fünf der so hergestellten monoklonalen Antikörper-Medikamente gegen Ebola, HIV, Herpes und zur Empfängnisverhütung, befanden sich bereits in ersten klinischen Studien. Die übrigen richten sich gegen eine Reihe weiterer Viren, Bakterien und Toxine. Neben der schnellen Herstellung zeigt sich hier die Vielfältigkeit der Anwendungsmöglichkeiten.[22]
Der Hersteller des ersten pflanzenbasierten COVID-19-Impfstoffs war 2020 auch an der Entwicklung pflanzenbasierter Antikörper gegen SARS-CoV-2 beteiligt. Die Firma Medicago nutzte für die Entwicklung der Antikörper dieselbe Technologie-Plattform wie für den Impfstoff. Während der Impfstoff im Februar 2022 erfolgreich in Kanada zugelassen wurde, ist uns leider nicht bekannt, wie der Stand bei den Antikörpern ist.[23]
Antivirale Medikamente auf Pflanzenbasis
Die Proteinklasse der Lektine ist unter anderem in den Varianten bekannt, die dafür sorgen, dass Bohnen, Gartenerbsen und Soja nicht roh verzehrt werden sollten. Andere Lektine können die Vervielfältigung verschiedener Viren unterdrücken. Nachgewiesen ist die antivirale Wirkung von Lektinen bei Infektionen durch:
- HIV (AIDS)
- das Cytomegalovirus (Herpes)
- das Respiratorische Syncytial-Virus (Atemwegsinfektion)
- Influenza A (Grippe)
- mehrere Coronaviren (Erkältung bis Schweres akutes Atemwegssyndrom (SARS)).
Von mehr als 20 verschiedenen Lektinen ist bereits bekannt, dass sie wirksam gegen SARS-CoV sind. Das aus einer Rotalge stammende Lektin Griffithsin zeigt zum Beispiel eine starke Aktivität gegen SARS-CoV. Insbesondere in der Kombination mit Carrageen ist es ein vielversprechender Kandidat zur Vorbeugung oder Behandlung von Infektionen, die durch SARS-CoV und SARS-CoV-2 ausgelöst werden. Carrageen wird auch aus Rotalgen gewonnen.
Solche antiviralen Medikamente könnten, wie auch pflanzlich basierte Impfstoffe, sehr schnell und mit relativ wenig Aufwand in großem Maßstab produziert werden.[24] [25]
Antikörper und Antigene für Schnelltests
Eine wichtige Komponente der Anti-Corona-Strategie ist das Testen. Dafür werden weltweit täglich Millionen an Schnelltests benötigt. Auch diese basieren auf der Verwendung von Antigenen und Antikörpern, die mit Viruspartikeln in der Testlösung, Farbstoffen und dem Streifen auf der Testplatte binden. Sie produzieren dadurch ein sichtbares Ergebnis. Die Nachfrage nach diesen Substanzen könnte auch mit pflanzlich produzierten Proteinen bedient werden. In diesem Bereich ist nicht einmal darauf zu achten, dass die Pflanzenproteine nicht allergen wirken, da sie nicht für die Anwendung im Menschen gedacht sind.
Im Zusammenhang mit dem SARS-Ausbruch wurde gezeigt, dass Pflanzen SARS-CoV-Antigene produzieren können. Darüber hinaus wurde mittlerweile nachgewiesen, dass Pflanzen als schnelles, flexibles und robustes Produktionssystem für SARS-Reagenzien genutzt werden könnten.
Viele andere Antigene wurden bereits in Pflanzen produziert, für diagnostische Zwecke aber auch für die vorklinische und klinische Bewertung von Impfstoff-Kandidaten. Noch variiert der Ertrag pro Blattmasse stark und ist nicht genau vorherzusagen, hier ist weitere Forschung nötig.[26]
Was sind die Hürden auf dem Weg zur Umstellung auf pflanzenbasierte Mittel?
Systeme, die bereits in der Forschung, der Vermarktung und der rechtlichen Überwachung etabliert sind, haben immer einen Vorteil gegenüber neuen Methoden. Dies gilt besonders auch für den weltumspannenden medizinischen Markt. Daher fließen auch bisher mehr Zeit und Geld in die Forschung an konventionellen Impfstoffen - obwohl die Produktion von Impfstoffen in genetisch modifizierten Pflanzen sehr interessante Vorteile mit sich bringen.
Die Corona-Krise könnte eine nötige zusätzliche Motivation zur Veränderung liefern, weil die Gesundheit der Weltbevölkerung davon abhängt, dass möglichst viele Menschen geimpft, getestet und im Krankheitsfall behandelt werden. Wie entscheidend eine schnelle Entwicklung, Herstellung und weltweite Verteilung von Impfstoffen, Medikamenten und diagnostischen Mitteln ist, wurde während dieser Pandemie sehr deutlich. Entsprechend fordert die WHO eine zügige Entwicklung und Verteilung weiterer geeigneter Impfstoffe.
Bevor aus pflanzen gewonnene Impfstoffe, Medikamente, Antigene und Antikörper in großem Umfang eingesetzt werden können, müssen jeweils technische Herausforderungen gelöst werden. Potenzielle Gefahren müssen berücksichtigt und durch geeignete Maßnahmen minimiert werden. Neben den regulatorischen Anforderungen die erfüllt werden müssen, muss auch die Akzeptanz in der Bevölkerung für diesen neuen Ansatz gegeben sein.[27]
Welche potenziellen Gefahren gibt es?
- Das Auftreten von Allergien gegen pflanzliche Substanzen ist eine potenzielle Gefahr, die bei Impfstoffen und Medikamenten beachtet werden muss.
- Eine andere ist die Freisetzung des eingeschleusten Erbgutes in Ökosysteme in der Umgebung der Anbauflächen. Eine wichtige Methode um dieses Risiko zu verringern, kann der Anbau der Pflanzen im Gewächshaus sein. Die Firma Medicago nutzt zum Beispiel diese im Vergleich teurere aber deutlich sicherere Methode zur Herstellung ihrer Impfstoffe[28]. Sie stellt den ersten zugelassenen pflanzenbasierten COVID-19-Impfstoff Covifenz her.
- Während auf Pflanzen spezialisierte Viren bisher nicht dafür bekannt sind, dass sie jemals Menschen infiziert hätten, könnte sich eine Infektion der Pflanzen negativ auf die Produktion auswirken.
- Ein anderes theoretisches Risiko besteht darin, dass für Menschen gefährliche Viren aus anderen Quellen in die Produktion gelangen könnten, zum Beispiel über Schädlinge. (Auch hier ist das Risiko durch den Anbau der Pflanzen im Gewächshaus geringer.)
Für einen sicheren Herstellungsprozess müssen die Richtlinien zur Arbeit mit den jeweiligen Pflanzen auf allen politischen Ebenen genau diskutiert und festgelegt werden. Dies war schon im Januar 2005 Thema einer Besprechung der WHO mit damaligen Fachleuten.[29]
Alles in allem überwiegen unserer Ansicht nach die Vorteile (s. o.) eindeutig. Das Potenzial auf diesem Wege weltweit sowohl Menschen als auch Tiere zu schützen, halten wir für sehr groß. Menschen könnten schneller versorgt werden, auch die Versorgung der Menschen in ärmeren Ländern kann deutlich erleichtert werden. Durch die Produktion der benötigten Substanzen in Pflanzen, kann auf die entsprechenden Produktionsmethoden verzichtet werden, für die Tiere bzw. tierische Produkte benötigt werden.
Ausblick
Sinnvolle unterstützende Maßnahmen wären sowohl Aufklärungskampagnen als auch verstärkte Investitionen in Forschungsprojekte, um die Arbeit mit genetisch veränderten Pflanzen noch sicherer zu machen und bestehende Hürden abzubauen. Dann hätten wir eine sehr wirksame und global anwendbare Strategie gegen SARS-CoV-2 und vor allem auch gegen künftige Ausbrüche von Infektionskrankheiten in der Hand. Das wäre eine erfreuliche Konsequenz aus dem Schub, den die medizinische Forschung in der Coronapandemie erfahren hat.
Welche Alternativen zu Tierversuchen gibt es?
Weiterführende Links:
- Molecular farming in der Covid-19-Pandemie - Pflanzenbiotechnologische Ansätze für Diagnostik und Impfung. (Redaktion Pflanzenforschung; 2020)
- Pflanzenbasierter Corona-Impfstoff: Kanadisches Vakzin soll Infektion verhindern. (RedaktionsNetzwerk Deutschland; 2021)
Quellen:
Global Innovation Trends for Plant-Based Vaccines Production: A Patent Analysis. Dario G. Frisio, Vera Ventura; 23.11.2021 (MDPI) ↩︎
Plant-Based Vaccines: Antigen Design, Diversity, and Strategies
for High Level Production. Elizabeth Monreal-Escalante, Abel Ramos-Vega, Carlos Angulo, Bernardo Bañuelos-Hernández; 10.01.2022 (MDPI) ↩︎Plant-based vaccines for animals and humans: recent advances in technology and clinical trials. Natsumi Takeyama, Hiroshi Kiyono, Yoshikazu Yuki; 06.11.2015 (SAGE journals ↩︎
Evolution of Plant-Made Pharmaceuticals. David R. Thomas, Claire A. Penney, Amrita Majumder, Amanda M. Walmsley; 17.05.2011 (MDPI) ↩︎
Plant-based vaccines for animals and humans: recent advances in technology and clinical trials. Natsumi Takeyama, Hiroshi Kiyono, Yoshikazu Yuki; 06.11.2015 (SAGE journals ↩︎
Our science Our vaccine candidates Coronavirus. (medicago.com) ↩︎
Plant-Based COVID-19 Vaccines: Current Status, Design, and Development Strategies of Candidate Vaccines. Puna Maya Maharjan, Sunghwa Choe; 06.09.2021 (PMC PubMed Central) ↩︎
Medicago's homegrown, plant-based COVID-19 vaccine approved by Health Canada. Lauren Pelley; 24.02.2022 (CBC.ca) ↩︎
COVID-19 plant-based vaccines. Government of Canada (24.02.2022) ↩︎
Plant-Based Vaccines? Medicago's COVID Shot Leads the Way. Cameron English; 01.03.2022 (The American Council on Science and Health - acsh.org) ↩︎
Medicago Covifenz COVID-19 vaccine. Government of Canada; 09.03.2022 (canada.ca) ↩︎
Medicago's homegrown, plant-based COVID-19 vaccine approved by Health Canada. Lauren Pelley; 24.02.2022 (CBC.ca) ↩︎
Plant-Based COVID-19 Vaccines: Current Status, Design, and Development Strategies of Candidate Vaccines. Puna Maya Maharjan, Sunghwa Choe; 06.09.2021 (PMC PubMed Central) ↩︎
Medicago's plant-based vaccine trial shows 75.3% efficacy against Delta variant. Mrinalika Roy; 07.12.2021 (Reuters) ↩︎
WHO ‘Very Likely’ Won’t Approve Medicago’s Covid Vaccine Due To Tobacco Ties. Zachary Snowdon Smith; 16.03.2022 (Forbes) ↩︎
Plant-Based COVID-19 Vaccines: Current Status, Design, and Development Strategies of Candidate Vaccines. Puna Maya Maharjan, Sunghwa Choe; 06.09.2021 (PMC PubMed Central) ↩︎
Plant-based vaccines for animals and humans: recent advances in technology and clinical trials. Natsumi Takeyama, Hiroshi Kiyono, Yoshikazu Yuki; 06.11.2015 (SAGE journals ↩︎
Impfstoff aus der Pflanze – Projekt zur Entwicklung kostengünstiger Vogelgrippe-Vakzinen angelaufen. Regina Devrient; 19.03.2019 (Informationsdienst Wissenschaft (idw)) ↩︎
Production of Antibodies in Transgenic Plants. Andrew Hiatt, R Cafferkey, Katherine Bowdish; 12.1989 (ResearchGate) ↩︎
Ebola: ZMapp und neuer Antikörper zeigen Wirkung. rme/aerzteblatt.de; 26.02.2016 (aerzteblatt.de) ↩︎
Reproducibility and flexibility of monoclonal antibody production with Nicotiana benthamiana. Kelsi Swope, Josh Morton, Gregory P. Pogue et al.; 09.01.2022 (NCBI) ↩︎
Medicago Develops Plant-Based Coronavirus Vaccine Candidate. Alex Keown; 13.03.2020 (BioSpace) ↩︎
Plant Molecular Farming as a Strategy Against COVID-19 – The Italian Perspective. Chiara Lico, Luca Santi, Selene Baschieri et al.; 14.12.2020 (Frontiers) ↩︎
Griffithsin and Carrageenan Combination Results in Antiviral Synergy against SARS-CoV-1 and 2 in a Pseudoviral Model. Sahar Alsaidi, Nadjet Cornejal, Oneil Mahoney; 26.07.2021 (PubMed) ↩︎
Plant Molecular Farming as a Strategy Against COVID-19 – The Italian Perspective. Chiara Lico, Luca Santi, Selene Baschieri et al.; 14.12.2020 (Frontiers) ↩︎
Plant-derived vaccines. World Health Organization; 2005 (WHO) ↩︎
How our vaccines are developed? Medicago Inc; 2022 (medicago.com) ↩︎
WHO Informal consultation on scientific basis for regulatory evaluation of candidate human vaccines from plants. Jan Willem van der Laan, Philip Minor, Richard Mahoney et al.; 01.2005 (WHO) ↩︎