Entstand Omikron in einer anderen Tierart?

Entstand Omikron in einer anderen Tierart?

Am 24. November 2021 wurde das erste Mal in Südafrika von der Omikron-Variante berichtet. Innerhalb von zwei Tagen wurde sie von der WHO als besorgniserregende Virusvariante eingestuft, da sie zu einem Anstieg der Infektionszahlen in Südafrika führte. Auffällig an Omikron war die erhebliche Anzahl an Mutationen, die gleichzeitig auftrat. (Dieses Phänomen wird auch “langer Zweig” genannt). Darunter waren wiederum viele Mutationen, die in vorigen SARS-CoV-2-Varianten nur selten gemeldet worden waren. Sehr überraschend war, dass all diese Mutationen so lange unentdeckt blieben und erste Mutationen nicht viel früher aufgefallen sind. Schnell gab es Theorien, wie es dazu kommen konnte. Es folgen die drei populärsten Theorien.

Theorien, wie Omikron unbemerkt entstanden sein kann:

  1. Omikron könnte in einer Region entstanden sein, in der es keine ausreichende Virusüberwachung und -sequenzierung gibt, sodass die Variante unbemerkt entstehen und sich ausbreiten konnte.
  2. Omikron könnte sich während einer anhaltenden (chronischen) COVID-19-Infektion in einem immungeschwächten Menschen entwickelt haben.
  3. Die Omikron-Variante könnte sich in einem nichtmenschlichen Wirt entwickelt und die Mutationen dort angesammelt haben, bevor sie auf den Menschen sprang.

In einigen Medienberichten fiel die dritte Theorie komplett unter den Tisch. Es wurde vermehrt über die ersten beiden Möglichkeiten diskutiert, bei denen davon ausgegangen wird, dass sich die Variante in Menschen entwickelte. Das zweite Szenario ist bisher die populärste Hypothese, oft wird in diesem Zusammenhang von den vielen mit HIV infizierten Menschen in Afrika gesprochen.

Einige Fachleute machten frühzeitig deutlich, dass sie die erste Theorie für unwahrscheinlich halten. Darunter waren Kristian Andersen (Immunologe, Institut “Scripps Research” in Kalifornien), Spyros Lytras (Forscher am “Centre for Virus Research” an der Universität von Glasgow)[1] und Angela Rasmussen (Coronavirus-Virologin, Organisation für Impfstoffe und Infektionskrankheiten der Universität von Saskatchewan in Kanada). Trotz der teils lückenhaften Genomüberwachung sei es unwahrscheinlich, dass sich diese neu entstehende Variante weit genug ausbreiten konnte, um solch eine Vielzahl an Mutationen zu entwickeln, ohne jemals entdeckt zu werden.[2] So sieht es auch Andrew Rambaut (Professor für molekulare Evolution an der Universität Edinburgh):

„Ich bin mir nicht sicher, ob es wirklich einen Ort auf der Welt gibt, der isoliert genug ist, dass diese Art von Virus so lange übertragen werden kann, ohne dass es an verschiedenen Orten auftaucht.“ [3]

Omikron entwickelte sich nicht aus einer der anderen besorgniserregenden Varianten, sie scheint parallel entstanden zu sein. Sie geht auf Viren zurück, die circa Mitte 2020 verbreitet waren (B.1.1-Linie). Es besteht eine Lücke von über einem Jahr, in der nicht bekannt ist, wo sich die Variante entwickelte. Diese Tatsache trug dazu bei, dass sich der Immunologe Kristian Andersen schon früh Gedanken über eine mögliche tierische Quelle machte. Denn es erschien ihm unwahrscheinlich, dass das Virus über solch einen langen Zeitraum unerkannt in einer oder mehreren immunsupprimierten Person/en zirkulierte.[4]

Kann sich Omikron im Tier entwickelt haben?

Kristian Andersen wies schon früh darauf hin, dass Omikron zoonotisch sein könnte - und andere Fachleute widersprachen ihm nicht:

„Ich halte dies für die gruseligste Möglichkeit, aber angesichts der Menge an Wildtierpopulationen von denen bekannt ist, dass sie SARS-CoV-2 übertragen, ist dies sicherlich ein Szenario, das nicht ausgeschlossen werden kann.“ Spyros Lytras (Forscher am „Centre for Virus Research“ Uni Glasgow) [5]

Angela Rasmussen (Coronavirus-Virologin, Organisation für Impfstoffe und Infektionskrankheiten der Universität von Saskatchewan in Kanada) hält es für ziemlich offensichtlich, dass sich dieses Virus eine lange Zeit auf einem unabhängigen Evolutionspfad befand. Dies sei sehr überraschend und für sie schlüssig mit einer Entwicklung in einer anderen Tierart erklärbar.

Michael Worobey (Professor für Evolutionsbiologie an der Universität von Arizona) sagte über Omikron:

„Es ist interessant, wie verrückt anders es ist.“ [6]

Er bevorzugte die Theorie, eine immunsupprimierte Person könne die Quelle dieser neuen Variante sein. Die Idee von Andersen hielt er anfangs zwar nicht für unmöglich, aber auch nicht für die wahrscheinlichste Erklärung für Omikron. Details über den „explosiven Ausbruch“ bei Weißwedelhirschen, brachten ihn jedoch zum Umdenken:[7]

„Ich frage mich, ob andere Arten da draußen chronisch infiziert werden können, was im Laufe der Zeit möglicherweise diese Art von Selektionsdruck erzeugen würde.“ [8]

Paul Digard (Lehrstuhlinhaber für Virologie am Roslin-Institut der Universität Edinburgh) sagte, dass Omikron sich in einer anderen Tierart entwickelt hat sei natürlich möglich, es gäbe derzeit jedoch keine ausreichenden Beweise, um sicher zu sein. Er weist darauf hin, dass wir einige sehr gute Überwachungssysteme für SARS-CoV-2 haben, die aber leider keine flächendeckende Abdeckung auf der ganzen Welt bieten. Daher werde es immer Orte geben, an denen wir nicht wissen, was passiert.

Unabhängig davon, welche Theorie richtig ist, das Auftauchen von Omikron bekräftigt laut Paul Digard die Vorteile einer möglichst hohen globalen Impfquote.[9]

Was spricht dafür, dass Omikron in Tieren entstand?

Wenn sich Omikron nicht - wie die vorigen Varianten - in Menschen sondern in anderen Tieren entwickelt hat, wäre das Virus einem anderen evolutionären Druck ausgesetzt gewesen. Durch den Druck, sich in der neuen Wirtsart an andere Bedingungen anpassen zu müssen, könnten diese neuen Mutationen entstanden sein.

„Das Genom [von Omikron] ist einfach so seltsam.“ Kristian Andersen [10]

In welcher Tierart kann Omikron sich entwickelt haben?

Im Bezug auf die Möglichkeit, dass sich Omikron in einer anderen Tierart entwickelt hat, teilte Angela Rasmussen (Virologin, Kanada) die folgende Grafik von Robert Garry auf Twitter und schrieb dazu:

„Angesichts der vielen Mutationen, die zuvor mit der Anpassung an Tiere (Nagetiere?) in Verbindung gebracht wurden und ihrer evolutionären Distanz zu anderen Varianten, ist dies eine sehr plausible Hypothese. [...] Schauen Sie sich all diese Omikron-Mutationen (blau oder mit o gekennzeichnet) an, die mit Anpassungen an das Wirtsspektrum verbunden sind! Viele sind typisch für Nagetiere, [einige] aber auch für Frettchen, Nerze, Katzen, Hunde…“[11]

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Grafik: Mutations arising in SARS-CoV-2 spike on sustained human-to-human transmission and human-to-animal passage. Robert F. Garry.[12][13]

„Natürlich sind einige dieser Mutationen auch beim Menschen mit einer Übertragung verbunden, so dass die Alternativhypothese, dass Omikron durch eine anhaltende Infektion in einem immungeschwächten Patienten entstanden ist, noch auf dem Tisch liegt. Wir sollten beide Hypothesen untersuchen.“ Angela Rasmussen [14]

Robert Garry (Professor für Mikrobiologie und Immunologie an der Tulane Medical School, New Orleans) hat die bisher aufgetretenen SARS-2-Mutationen unter die Lupe genommen. Sieben Mutationen deuten auf eine Anpassung an Nagetiere hin: Sie weisen Veränderungen auf, die es dem Virus vermutlich ermöglichen, diese Tiere zu infizieren. Omikron enthält alle sieben Mutationen. Robert Garry hält sowohl die Entwicklung von Omikron im Tier, als auch im Menschen für möglich. Wenn es im Tier war, würde er auf Nagetiere tippen. Angesichts der Tatsache, dass SARS-2 die Fähigkeit besitzt, viele unterschiedliche Arten zu infizieren, warnt er:

Unabhängig davon, ob sich Omikron in einer anderen Tierart entwickelt hat oder nicht, ist es möglich, dass die Welt in Zukunft mit Varianten tierischen Ursprungs konfrontiert wird. Um dafür gerüstet zu sein, hält er eine weitere Optimierung der Impfstoffe für notwendig.

Eine eindeutige Antwort auf die Frage, in welchem Wirt sich Omikron entwickelte, wird wohl nur schwer und möglicherweise nur mit viel Glück zu finden sein. Es gibt Forschungsmethoden, die dabei helfen können, Licht ins Dunkel zu bringen. Hier ein paar Beispiele:

  • Forschende untersuchen verschiedene Tierarten darauf, ob sie mit SARS-2 infiziert werden können.
  • Manche Wildtiere werden auf das Virus bzw. die entsprechenden Antikörper untersucht.
  • Ausgewählte Wildtierarten könnten laut Michael Worobey genauer untersucht werden. Nicht nur um herauszufinden, ob sie infiziert werden können, sondern auch, ob bei einer Infektion „ähnliche Muster der viralen Evolution auftreten“.
  • Untersuchung der Molekularen Uhr von Viren: die Geschwindigkeit, in der sich Viren in Tieren entwickeln, könnte mit der Entwicklung von SARS-CoV-2 im Menschen verglichen werden. [15]

Die von Robert Garry angesprochene Weiterentwicklung der Impfstoffe, halten wir auch für notwendig. Wir dürfen uns unserer Ansicht nach allerdings nicht allein auf die Forschung verlassen. Eine Reduktion unnötiger Kontakte zu Tieren, indem wir sie nicht länger für unseren Konsum ausbeuten, wäre ein großer Schritt nach vorne. Es wäre sicherer für uns Menschen, gut für die Tiere und für unsere Umwelt (Klima, Umweltverschmutzung usw.).

Wie entstand Omikron? Eine Studie geht der Frage genauer auf den Grund.

Quellen:


  1. Tech & Science Omicron Variant May Have Spread From Animal to Human, Scientists Suggest. Ed Browne; 02.12.2021 (Newsweek) ↩︎

  2. Dr. Angela Rasmussen 1; 02.12.2021 (Twitter) ↩︎

  3. Where did ‘weird’ Omicron come from? Kai Kupferschmidt; 01.12.2021 (Science) ↩︎

  4. Kristian Andersen; 01.12.2021 (Twitter) ↩︎

  5. Tech & Science Omicron Variant May Have Spread From Animal to Human, Scientists Suggest. Ed Browne; 02.12.2021 (Newsweek) ↩︎

  6. Where did ‘weird’ Omicron come from? Kai Kupferschmidt; 01.12.2021 (Science) ↩︎

  7. Some experts suggest Omicron variant may have evolved in an animal host. Helen Branswell; 02.12.2021 (STAT) ↩︎

  8. Where did ‘weird’ Omicron come from? Kai Kupferschmidt; 01.12.2021 (Science) ↩︎

  9. Tech & Science Omicron Variant May Have Spread From Animal to Human, Scientists Suggest. Ed Browne; 02.12.2021 (Newsweek) ↩︎

  10. Where did ‘weird’ Omicron come from? Kai Kupferschmidt; 01.12.2021 (Science) ↩︎

  11. Dr. Angela Rasmussen 2; 02.12.2021 (Twitter) ↩︎

  12. Mutations arising in SARS-CoV-2 spike on sustained human-to-human transmission and human-to-animal passage. Robert F. Garry. Department of Microbiology and Immunology, Tulane University Medical Center / Zalgen Labs, LLC, Germantown, MD, USA; 01.2022 (virological.org) ↩︎

  13. Grafik von Robert Garry incl. Omikron als PDF; 21.12.2021 ↩︎

  14. Dr. Angela Rasmussen 3; 02.12.2021 (Twitter) ↩︎

  15. Some experts suggest Omicron variant may have evolved in an animal host. Helen Branswell; 02.12.2021 (STAT) ↩︎