Wie steht die Ampel zur Pandemieprävention?

Wie auch einige andere Organisationen freuen wir uns, dass der noch druckfrische Koalitionsvertrag[1] öffentlich einsehbar ist und haben ihn einmal auf unsere Schwerpunkte hin abgeklopft. Alle Hervorhebungen und Auslassungen in den folgenden Zitaten sind von uns.

Die Begriffe „Zoonose“, „Virus“ und „Viren“ finden sich im ganzen Dokument nicht, wohl aber 26mal „Pandemie“, fünfmal „Tierhaltung“ und einmal „Pelz“.

Die Textstellen, die sich mit dem Thema Pandemie befassen, drehen sich in 22 Fällen um die Folgen der aktuellen Coronapandemie für die Wirtschaft (14 Erwähnungen), das Gesundheitssystem (sechs Erwähnungen) und den kulturellen Sektor (zwei Erwähnungen). Immerhin viermal erscheint der Begriff in folgendem Abschnitt:

Pandemiebekämpfung

„Wir werden das Krisenmanagement der Bundesregierung zu Bekämpfung der Corona-Pandemie neu ordnen. Hierzu setzen wir unverzüglich einen gemeinsamen Krisenstab der Bundesregierung ein, um die gesamtstaatliche Bekämpfung der Corona-Pandemie besser zu koordinieren.

Zur wissenschaftlichen Beratung wird ein interdisziplinär besetzter wissenschaftlicher Pandemierat beim Bundesministerium für Gesundheit geschaffen.“

Dass es wissenschaftliche Beratung geben soll, ist einerseits positiv zu sehen, andererseits aber auch nicht komplett neu. Auch die vergangene Regierung hat sich immer wieder wissenschaftliche Expertise von außen geholt. Ob die Fakten, Erkenntnisse und Vorschläge dann auch wirklich umgesetzt werden, ist eine ganz andere Frage, deren Antwort die Zukunft zeigen muss. Außerdem können wir aus dieser Absichtserklärung nicht ablesen, dass Risiken und Quellen künftiger Pandemien mit der gleichen Entschlossenheit besprochen werden sollen. Begriffe wie „Prävention” und „Ursachen” werden im Zusammenhang mit dem Thema Pandemie nicht ein einziges Mal erwähnt. Natürlich müssen wir akut die Folgen der Coronapandemie abmildern und die derzeitige vierte Welle eindämmen. Das sollte allerdings niemanden in Sicherheit wiegen, dass damit alles für eine mittelfristig pandemiefreie Zukunft getan wäre.

Ein weiterer interessanter Abschnitt dreht sich um die Ernährung:

Ernährung

„Wir werden, [...] bis 2023 eine Ernährungsstrategie beschließen, um eine gesunde Umgebung für Ernährung und Bewegung zu schaffen.

Wir werden die Standards der Deutschen Gesellschaft für Ernährung aktualisieren, in der Gemeinschaftsverpflegung als Standard etablieren, [...]. Unser Ziel ist, den Anteil regionaler und ökologischer Erzeugnisse entsprechend unserer Ausbauziele zu erhöhen. [...] Wir stärken pflanzliche Alternativen und setzen uns für die Zulassung von Innovationen wie alternative Proteinquellen und Fleischersatzprodukten in der EU ein. [...] Wir unterstützen die Entwicklung von Kriterien für einen ökologischen Fußabdruck.“

Sollten diese Zusagen wirklich umgesetzt werden, wäre das wirklich ein großer positiver Schritt hin zu einem Paradigmenwechsel. Wurden bisher die Interessen der tierhaltenden Landwirtschaft stärker berücksichtigt als Umwelt- und Gesundheitsaspekte (z.B. Verbot des Begriffes „Hafermilch“ und 19% Mehrwertsteuer auf pflanzliche Milchalternativen), könnte nun für Firmen, die pflanzliche Alternativen herstellen, die Lage auf dem Markt erleichtert werden.

Dass allerdings eine langfristige Abschaffung der Nutzung und Haltung von Tieren nicht Ziel der Ampelkoalition ist, zeigen folgende Abschnitte:

Naturschutz und Biodiversität

„Weidetierhaltung und Wolf: Unser Ziel ist es, das Zusammenleben von Weidetieren, Mensch und Wolf so gut zu gestalten, dass trotz noch steigender Wolfspopulation möglichst wenige Konflikte auftreten.“

Tierschutz

„Wir führen ab 2022 eine verbindliche Tierhaltungskennzeichnung ein, die auch Transport und Schlachtung umfasst. Unser Ziel sind entsprechende verbindliche EU-weit einheitliche Standards. [...] Wir wollen die Landwirte dabei unterstützen, die Nutztierhaltung in Deutschland artgerecht umzubauen. […] Die Entwicklung der Tierbestände soll sich an der Fläche orientieren [...] Die Landwirte sollen auf dem Weg zur Klimaneutralität im Rahmen des Umbaus der Nutztierhaltung unterstützt werden. […] Wir schließen bestehende Lücken in der Nutztierhaltungsverordnung und verbessern das Tierschutzgesetz (Qualzucht konkretisieren, nicht-kurative Eingriffe deutlich reduzieren, Anbindehaltung spätestens in zehn Jahren beenden).“

Mit anderen Worten: Auf der einen Seite sollen sowohl das Tierwohl deutlich und messbar verbessert als auch der Ausstoß klimawirksamer Gase stark verringert werden. Auf der anderen Seite wird die grundsätzliche Existenz der landwirtschaftlichen Tierhaltung nicht in Frage gestellt. Verkleinerung der Bestände und stärkere Ausrichtung an ökologischen Grundsätzen sind das Äußerste, was uns geboten wird. Dass auch Tiere in Biobetrieben zum Risiko des Auftretens von Zoonosen beitragen, wurde hier nicht berücksichtigt.

Ein weiterer Bereich der Tierhaltung soll genauso wenig angetastet werden:

„Die Bildungsarbeit Zoologischer Gärten werden wir unterstützen.“

Von der Zweifelhaftigkeit der Bildungsleistung eines Zoos[2] einmal abgesehen, wurde auch hier die Tradition höher gewichtet als die Prävention von Zoonosen, geschweige denn die Interessen der Zootiere und ihr Schutz vor Infektionen.

Ganz anders sieht es bei Pelztieren aus:

„Wir setzen uns für ein EU-weites Verbot der Haltung und Zucht von Pelztieren ein.“

Dieses Versprechen begrüßen wir sehr. Angesichts der teils absurden „Lösungen“, wie der Impfung von Nerzen auf Pelzfarmen in Nova Scotia[3], ist es erfreulich, dass nicht nur in Deutschland, sondern EU-weit das Pandemierisiko und das Tierleid, die beide von Pelzfarmen ausgehen, beendet werden sollen.

Der Koalitionsvertrag erwähnt immerhin eine Tierseuche:

„Der Bund nimmt in länderübergreifenden Krisen- und Seuchenfällen wie der Afrikanischen Schweinepest eine koordinierende und unterstützende Funktion wahr und beseitigt rechtliche Mängel. Wir schaffen das Amt einer oder eines Tierschutzbeauftragten.“

Da die Tierhaltung an sich weiter bestehen soll und die Afrikanische Schweinepest nicht auf Menschen übertragbar ist, ist diese Maßnahme eher so zu verstehen, dass dadurch wirtschaftliche Interessen der Fleischindustrie geschützt werden. Denn die größte Gefahr, die von der ASP momentan ausgeht, ist dass betroffene Betriebe ihren Tierbestand töten müssen.

Eine letzte für uns relevante Passage ist:

Naturschutz und Biodiversität

„Der Erhalt der Artenvielfalt ist eine Menschheitsaufgabe und eine ethische Verpflichtung. Wir wollen die Biologische Vielfalt schützen und verbessern, ihre nachhaltige Nutzung sichern und die Potenziale des natürlichen Klimaschutzes nutzen. Dafür bringen wir uns ambitioniert auf internationaler Ebene ein, stärken den Naturschutz und sehen Kooperation mit den Flächennutzern als zentralen Baustein an. […] Auf der Biodiversitätskonferenz setzen wir uns für einen ambitionierten neuen globalen Rahmen ein. Wir werden unser finanzielles Engagement zur Umsetzung des globalen Rahmens erheblich erhöhen.“

Die Ampelkoalition hat verstanden, dass Artenvielfalt existenziell wichtig ist und dazu ein Baustein zum Klimaschutz. Wenn das Versprechen, sich dafür auf globaler Ebene einzusetzen, wirklich eingelöst wird, ist damit auch ein deutlicher Beitrag zur Pandemieprävention verbunden.

Unser Fazit:

Die Pläne der neuen Regierungskoalition zeigen in eine positive Richtung. Klima-, Arten- und Tierschutz sollen verstärkt und die Herstellung pflanzlicher Alternativen gefördert werden. Wenn es auch nicht konkret benannt wird: werden die Pläne umgesetzt, folgt daraus die Reduzierung der Tierbestände. Der Pelztierhaltung soll sogar auf europäischer Ebene ein Ende gesetzt werden. Damit wird auch das Risiko der Entstehung von Pandemien gesenkt.

Auf der anderen Seite scheint der Zusammenhang zwischen der Tierhaltung und potenziellen Ausbrüchen neuer Zoonosen noch nicht - oder noch nicht vollständig - verstanden. Hier bleibt noch viel Aufklärungsarbeit zu tun.

Das Wort Pandemie taucht im Koalitionsvertrag ausschließlich im Zusammenhang mit den Folgen und der Bekämpfung der aktuellen Pandemie auf. Kein Wort zur Prävention künftiger Pandemien. Und das, obwohl wir gerade deutlich zu spüren bekommen, wozu die seit Jahren beobachtete Zunahme an zoonotischen Krankheiten[4] führt.

Was können wir also tun? Am Thema dranbleiben und auf die Zusammenhänge zwischen der Tierhaltung und der Gefahr der Entstehung neuer zoonotischer Erkrankungen, Epidemien und Pandemien hinweisen. Wir können unseren Abgeordneten schreiben, mit unserem direkten Umfeld in den Dialog gehen, auf die Straße gehen... Und vor allem auch die neue Regierung regelmäßig an ihre Versprechen erinnern.

Was können wir tun, um das Risiko für künftige Pandemien zu reduzieren?

Quellen:


  1. Koalitionsvertrag 2021-2025; 11.2021 (fragdenstaat.de) ↩︎

  2. Interview: "Kinder lernen im Zoo, immun zu werden gegen das Leid der Tiere". Sabine Hufnagl (Colin Goldner); 06.2018 (hpd) ↩︎

  3. Nova Scotia to pay for COVID-19 vaccines for mink as B.C. shutters industry. The Canadian Press; 12.11.2021 (CBC) ↩︎

  4. Sachstand: Zoonosen: Begriffsdefinitionen, historischer Überblick, Pandemiepotenzial. Wissenschaftliche Dienste, Sachstand WD 9 - 3000 - 110/20; 12. Januar 2021 (Deutscher Bundestag) ↩︎