Influenza

Woher kommt eigentlich die Grippe?

Die "echte" Grippe wird durch Influenzaviren verursacht.[1] Es gibt vier Arten von Influenzaviren (A,B,C und D). Die Arten A und B können saisonale Epidemien auslösen. Lediglich Influenza-A-Viren sind jedoch dafür bekannt, dass sie Pandemien (globale Epidemien) auslösen.[2]

Als das natürliche Reservoir, die ursprüngliche Quelle der Influenza-A-Viren, gelten Wasservögel.[3] [4] In diesen Vögeln, z.B. in Enten, befielen die Viren den Magen-Darm-Trakt. Die Verbreitung von einem zum anderen Vogel geschah über das Wasser: Die infizierte Ente schied das Virus mit dem Kot aus, die nächste nahm es beim Trinken aus demselben Gewässer auf. Dafür war es nicht nötig, dass die Tiere krank wurden. Im Gegenteil: nur gesunde Vögel können im Flug weite Strecken zurücklegen und das Virus von einem See zum nächsten tragen und somit effektiv verbreiten.

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Mit der Domestizierung von Geflügel, vermutlich beginnend mit der Domestizierung von Enten vor ca. 4.500 Jahren,[5] änderte sich die Lage nach und nach. Zum einen kamen die Menschen in engeren Kontakt mit den Tieren. Zum anderen spielte ein weiterer Schritt bei der Entwicklung eine große Rolle: die Haltung von Geflügel an Land. Gelangt ein Virus aus einem Wasservogel beispielsweise in ein Huhn, das an Land lebt, gibt es zwei Möglichkeiten: das Virus “stirbt”, da der Übertragungsweg über das Wasser wegfällt, oder es gelingt eine Mutation, die ihm ermöglicht ein anderes Organsystem und damit einen anderen Übertragungsweg zu finden. Genau dies geschah. Das Virus schaffte die Anpassung an die Atemwege der Hühner. Um sich effektiv über den Luftweg zu verbreiten, mussten die Wirte nun allerdings erkranken. Sie mussten husten und niesen.

Die Anpassung an Hühner ist für Vogelgrippeviren, gerade in der heutigen Zeit, wie ein evolutionärer Jackpot. Sehr viele Tiere leben auf engstem Raum zusammengepfercht, unter sehr stressigen und unhygienischen Bedingungen. So leben sie beispielsweise vom ersten bis zum letzten Tag in ihrem eigenen, feuchten Kot, in dem Viren lange überdauern und infektiös bleiben können. Ausgemistet wird erst nach Abtransport der Tiere, bevor die nächsten zur Aufzucht kommen. Hinzu kommt, dass die Tiere auf "Leistung" gezüchtet werden, was mit teils schwerwiegenden gesundheitlichen Problemen und höherer Infektanfälligkeit einhergeht. Ein gewisser Anteil an Tieren stirbt bereits vor Erreichen des Schlachtalters an den Folgen dieser Qualzuchten und Haltungsbedingungen. Finanziell sind diese Verluste einkalkuliert. Alles in allem herrschen perfekte Bedingungen für die Verbreitung - und die Entstehung neuer - Krankheitserreger.

Während es in Wildvögeln für das Virus von Bedeutung ist, dass sie gesund genug sind um das Virus zu verbreiten, spielt die Gesundheit des Wirtes unter den Umständen in der industrialisierten "Geflügelindustrie" keine Rolle für das Virus. Selbst wenn der Wirt daran stirbt, hat sich das Virus zuvor längst verbreitet, da die nächsten potenziellen Wirte in nächster Nähe sind.[6]

Chickens_Scandinavia_JMcArthur_2017-4371Foto: Jo-Anne McArthur / We Animals (Junge Masthähnchen in Europa, 2017)

Es ist nicht lange her, dass menschliche Infektionen mit Vogelgrippe nahezu unbekannt waren. Die sogenannte "Spanische Grippe" von 1918 war die erste weltweite durch Vogelgrippe ausgelöste Pandemie, vermutlich ermöglicht durch die Zustände, die während des ersten Weltkrieges herrschten: Viele Soldaten lebten auf engstem Raum, fuhren weite Strecken in überfüllten Eisenbahnen, teilten sich enge Schützengräben und das alles unter physisch und psychisch sehr schwierigen, auszehrenden Bedingungen. Spanien war das erste Land, das den Ausbruch der Pandemie nicht verheimlichte. Nach heutigem Wissensstand kann das Virus jedoch bis in eine Kaserne in Kansas (USA) zurückverfolgt werden.

Nach der Pandemie 1918, die durch ein H1N1-Influenzavirus verursacht wurde, dauerte es nahezu 80 Jahre bis ein Vogelgrippevirus wieder aggressiv genug wurde, um eine größere Anzahl der erkrankten Menschen zu töten: das Vogelgrippevirus H5N1, das 1997 in Hongkong auftauchte.

Die industrielle Geflügelproduktion wurde in den 1950er Jahren erfunden. Wirklich global verbreitet hat sie sich jedoch erst relativ kürzlich. Mit den Erste-Weltkrieg-typischen Bedingungen für Milliarden von Vögeln rund um die Welt, scheint die weltweite intensivierte Geflügelindustrie ein Schlüsselelement zu sein: Sie ermöglicht Influenzaviren "aquatischer Herkunft" eine schnelle Anpassung an das an Land lebende Geflügel.

Die steigende Anzahl an Ausbrüchen unter Geflügel in den letzten 2-3 Jahrzehnten scheint mit einer erhöhten Übertragbarkeit auf Menschen einherzugehen. Seit der Entstehung von H5N1 1997 sprangen mehr als ein Dutzend Vogelgrippeviren auf Menschen über[7] und infizierten Tausende von Menschen in mehr als zwanzig Ländern.[8]

Wie gelingt einem Vogelgrippevirus der Sprung auf den Menschen?

Während alle Vogelgrippeviren offenbar ihren Ursprung in Wasservögeln haben, scheint es keine direkte Verbreitung aus diesem natürlichen Reservoir direkt zu Säugetieren oder Menschen zu geben. Domestiziertes Geflügel scheint das benötigte Sprungbrett zu sein: Es gibt zwischen den Atemwegen von Hühnern und Menschen auffällige Ähnlichkeiten auf molekularer Ebene. Dies betrifft die Rezeptoren, an denen Viren andocken um im weiteren Verlauf in die Zelle des Wirtes einzudringen. Die entsprechenden Rezeptoren in Hühnern ähneln den menschlichen offenbar stärker als jenen von Enten. So können sich menschliche Influenzaviren fest an die Zellwände von Hühnern binden und umgekehrt, während dies bei Enten nicht der Fall ist.[9] [10] Finden sich Viren aus Enten jedoch in einem Stall mit tausenden oder gar zehntausenden von Hühnern wieder, führen die unzähligen Mutationen, die unter diesen Bedingungen stattfinden, zur Anpassung der Viren an die Rezeptoren der Hühner. Je besser ein Virus darin wird Hühner zu infizieren und zu töten, um so besser kann es auch darin werden, uns Menschen zu infizieren und zu töten. Durch die Adaptation an Hühner können die Viren sich also auch an Menschen anpassen.

Während der "Spanischen Grippe" erkrankten auch Millionen Schweine in den USA, Europa und China. Die Frage war lange, ob die Menschen die Grippe von den Schweinen bekommen hatten oder umgekehrt. Denn Schweine gelten als “Mischbehälter”, in denen sich Grippeviren aus Vögeln und Menschen kombinieren können und die somit zur Überwindung der Speziesbarriere beitragen können. Nach heutigen Erkenntnissen wurde die Pandemie von einem Vogelgrippevirus ausgelöst, dem es gelang, ohne Anpassung über einen Zwischenwirt direkt auf den Menschen überzuspringen.[11] Demnach infizierten die Menschen die Schweine. Vor Herbst 1918 gab es zudem keine Berichte, dass Schweine jemals die Grippe bekommen hatten.[12]

Was geschah nach der Pandemie von 1918 mit dem Virus?

Nach dem Abklingen der Pandemie entwickelte sich aus einer Neukombination des Virus die reguläre saisonale Grippe. In Schweinen verwandelte sich das Virus durch Neukombination in die “klassische Schweinegrippe”.

Während sich die reguläre Grippe 1957 und 1968 jeweils mit einem Vogelgrippevirus kombinierte, eine relativ milde Pandemie auslöste und im weiteren Verlauf jeweils zu einer saisonalen Grippe wurde,[13] blieb das sogenannte Schweinegrippevirus bis zum Ende des Jahrhunderts stabil. Die erste Kombination eines Schweinegrippevirus mit dem in Menschen vorherrschenden wurde 1998 bei Schweinen entdeckt. Kurz darauf tauchte eine bis dahin nie dagewesene Kombination aus drei Grippeviren auf: Die klassische Schweinegrippe hatte sich mit Gen-Segmenten eines in Menschen zirkulierenden Grippevirus und Gen-Segmenten eines Vogelgrippevirus kombiniert. Innerhalb eines Jahres hatte es sich über die langen Transportwege in den USA ausgebreitet. Doch was war geschehen, nachdem das Schweinegrippevirus so lange stabil gewesen war? Innerhalb von 6 Jahren hatte sich beispielsweise die Schweine-Population in North Carolina von zwei Millionen auf zehn Millionen erhöht. Gleichzeitig sank die Anzahl der Schweinefarmen. Wie beim Geflügel sind auch bei den Schweinen steigende Dichte und Gesamtzahl der Tiere mit dem erhöhten Risiko der Verbreitung der Infektionen assoziiert.

Aus diesem Virus entwickelte sich die "Schweinegrippe"-Pandemie von 2009.[14] Die Pandemie begann in Mexiko, die genetische Abstammung konnte jedoch bis zu einer Schweinefarm in North Carolina zurückverfolgt werden.

Die Geschichte des H1N1-Virus setzt sich fort: Chinesische Wissenschaftler warnen aktuell (Mitte 2020) vor der neuen Variante G4 EA H1N1.[15] Diese setzt sich aus der sogenannten Schweinegrippe von 2009, einer aus europäischen und asiatischen Vögeln bekannten Variante sowie einer in Nordamerika vorkommenden Vogelgrippe-Variante zusammen.

Wie wurde die Ursache der "Spanischen Grippe" enträtselt?

Wie gefährlich können Influenzaviren für uns Menschen werden?

Quellen:

Das Buch "How to Survive a Pandemic" von Dr. Michael Greger ist Ausgangspunkt und wichtigste Quelle für den gesamten Abschnitt.


  1. Influenza: Was ist eine Grippe? (Bundesministerium für Gesundheit) ↩︎

  2. Types of Influenza Viruses. Centers for Disease Control and Prevention, National Center for Immunization and Respiratory Diseases (NCIRD); Stand 02.11.2021 (cdc.gov) ↩︎

  3. In the dawn of a new century one pathogen remains still as the paradigm of emerging diseases: The Influenza A virus. Avian Influenza virus program - Virginia-Maryland Veterinary Medicine;2007 (FluTrackers) ↩︎

  4. Infectious diseases of animals and plants: an interdisciplinary approach. Katy Wilkinson, Wyn P. Grant, Laura E. Green et al.; 2011 (PMC) ↩︎

  5. Severe Acute Respiratory Syndrome and Influenza:
    Virus Incursions from Southern China. Kennedy F. Shortridge,
    Department of Microbiology, The University of Hong Kong, Hong Kong SAR, China; 2003 (Pulmonary Perspective, PDF)
    ↩︎

  6. An HSUS Report: Human Health Implications of U.S. Live Bird Markets in the Spread of Avian Influenza; 2007 (The Humane Society of the United States, PDF verfügbar) ↩︎

  7. Novel Avian Influenza A Virus Infections of Humans. Timothy M Uyeki, Malik Peiris; 2019 (PubMed, PDF verfügbar) ↩︎

  8. How to Survive a Pandemic. Michael Greger, M.D., FACLM; 2020 (Buch, engl.) ↩︎

  9. Differences between influenza virus receptors on target cells of duck and chicken. A. Gambaryan, R. Webster, M. Matrosovich / Archives of Virology; 2014 (Springer) ↩︎

  10. Interspecies transmission of an H7N3 influenza virus from wild birds to intensively reared domestic poultry in Italy. Laura Campitellia, Elvira Mogavero et. al, Virology; 2004 (ScienceDirect) ↩︎

  11. Vogelgrippe : Der Sprung auf den Menschen. Peter-Philipp Schmitt; 2005 (faz) ↩︎

  12. The Origin and Virulence of the 1918 “Spanish” Influenza Virus. Jeffery K. Taubenberger / PubMed; 2006 ↩︎

  13. The Origins of Pandemic Influenza — Lessons from the 1918 Virus. Robert B. Belshe, M.D.; 2005 (NEJM) ↩︎

  14. „Schweinegrippe“ war tödlicher als gedacht: Pandemie des Jahres 2009 forderte weltweit zehnmal mehr Todesopfer. Scinexx; 2013 ↩︎

  15. Chinesische Studie: Neues G4-Influenzavirus – übertragbar vom Schwein auf Menschen. Dr. Thomas Meißner; 2020 (ÄrzteZeitung) ↩︎